Das ist ein Experiment.
Das sind meine Gedanken.
Das ist ungefiltert.
Der dritte Beitrag in diesem Versuch. Ich habe vor kurzem meine Bachelor Arbeit abgeschlossen. Die anschließende Phase und meine Gedanken in dieser, haben mich überrascht und verwirrt. Da war nämlich etwas in mir, nach dessen Erfüllung ich strebte, aber dann nicht bekam. Dies waren, und dadurch entstand der Titel: Great Expectations.
04.01.2019
great expectations
drive the freeway. carry your plant.
- mindfullness
- thinking
- philosophy
lesezeit:
10
Ich habe vor wenigen Tagen den schriftlichen Teil meiner Abschlussarbeit an der Hochschule beendet. Zeichen um Zeichen habe ich mich meinem Ziel genähert und mit jedem weiteren Wort hat sich alles, was noch fehlte weiter und weiter in meinen Kopf gebrannt. Klar, es gab Zeitdruck. Nicht so hoch, dass lange Nächte der Arbeit von Nöten waren und doch war er da.
Der Kopf wird voller und voller und alles was irgendwie den Fokus verschieben könnte wird unterdrückt. Absätze, Layouts, Druckzeiten, Zusammenfassungen, Datenpakete, Termine und all das sind omnipräsent.
Je mehr ich schrieb und arbeitete, desto mehr wurde mir klar wie hoch ich die Ziele gesteckt hatte und wie viele Steine ich mir selbst in den Weg legte. Weitere Aufträge und Projekte hier, kurze Termine da und ein Konzept an Funktionen, die den Umfang einer üblichen Abschlussarbeit vielleicht übersteigen, vielleicht aber auch nicht.
Je mehr ich schrieb, desto mehr stieg in mir das Bedürfnis auf, noch mehr zu schreiben. Die anderen Gedanken zu formulieren die in meinem Kopf umherschwirrten. Nicht ausgesprochenes und nicht gedachtes, was ich nie ans Tageslicht hab kommen lassen.
Je näher ich dem Ende kam, desto mehr war in meinem Kopf, was ich einfach in Worte formulieren und zu Papier bringen wollte.
Jetzt kann ich das tun und schreiben was auch immer mir durch den Kopf schwirrt und stelle eines fest:
Ich habe die Erwartung gehabt, dass ich nach all den verpflichtenden Aufgaben und Terminen ein Hochgefühl der Zufriedenheit und des Erfolgs erleben würde. Die Möglichkeit einer offenen Welt vor mir liegen zu haben und neben alltäglichen Verpflichtungen tun und lassen könnte, was auch immer ich wollte.
Schlagartig fiel etwas weg. Die tägliche Erwartungshaltung an mich selbst „Du musst etwas tun, jetzt und so oft du kannst, damit du alles schaffst“.
Wie geht man im Anschluss damit um, wenn man es so gewohnt ist, Arbeit in etwas reinzustecken, was auf einmal nicht mehr da ist. Anstatt Zufriedenheit und Erfolg waren da eine Art Hilflosigkeit und ja, Angst. Angst davor, jetzt in das Gegenteil zu verfallen und zu späteren wichtigen Zeitpunkten nicht mehr zu diesem Fokus zu finden. Laptop in die Ecke und so lange wie möglich liegen lassen? Nur Kleinigkeiten nebenher machen um sich langsam umzugewöhnen?
Ich zähle bewusst nicht auf, woraus genau eine Arbeitswoche bei mir bestand und warum ich diese Abschlussphase als eine enorm intensive und überfordernde empfand.
Es ist ein schwacher Vergleich, aber was machen Menschen die nach 50 Jahren Beruf auf einmal in die Rente eintreten? Die geistige Reife und den charakterlichen Zustand und die wohl gereifte Weisheit in diesem Alter mag ich jetzt noch nicht verstehen können und daher kann der Umgang mit diesem Ende eines Abschnitts womöglich ein ganz anderer sein als ich ihn mir jetzt vorstellen kann. Jedoch komme ich nicht umhin zu erkennen, dass die Situation, zeitlich unabhängig betrachtet, die gleiche ist.
Ein Phase mit alltäglich eingebrannten Gewohnheiten, und wir Menschen sind wahrhaftig ein zur Gewohnheit neigendes Individuum, geht vorbei und schlagartig erwartet jemanden ein völlig anderes Leben. Ich habe schon viele Kollegen und Bekannte erlebt, die dem Eintritt ins Rentenalter nicht allzu fern waren, welche mit Hochtönen davon sprachen, wenn sie endlich in die Rente gehen und nie wieder arbeiten müssen. Eine Erwartungshaltung sondergleichen. Kann ein Leben das erfüllen? Welches Leben könnte das erfüllen? Wie kommt der Partner damit zurecht, wenn man sich sonst nur am Morgen und am Abend sieht und auf einmal ist da jemand anderes den ganzen lieben langen Tag zu Hause. Völlig neue Situationen tun sich auf und das kann sowohl positive Entwicklungen annehmen, als auch negative.
Stell dir in diesem Zeilen nicht die Frage nach der Wahrheit, Korrektheit und Sinnhaftigkeit hinter dem was ich schreibe und denke dir nicht, was soll man dazu mit 27 Jahren schon sagen. Es sind meine Gedanken die sich hier niederlassen und keine deterministischen Lehren oder wohl belegte kausale Zusammenhänge ich die ich hier aufzeigen will.
Es ist mehr ein Gedankenspiel zwischen dem was ich gerade tue bzw. tat und die Erwartung für eine Zeit nach bestimmten getätigten Werken.
Das projiziere ich auf Situationen, welche die meisten von uns erwarten und philosophiere über die Erwartungen und deren Erfüllungen, die vielleicht schon im Ansatz zu utopisch sind. Das soll heißen, je größer der Zeitraum ist, in welchem man auf etwas hinarbeitet oder auch wartet, desto größer schüren wir unsere Erwartungen bis wir endlich erhalten, was wir uns wünschen. Irgendwann kommt immer der Punkt, dass diese einfach zu groß werden, als das sie irgendetwas, oder irgendjemand erfüllen könnte.
Genau da kann Frustration einsetzten, wenn eine Erwartung nicht erfüllt wird. Erwartungen sind wie der Keimling einer Pflanze. Wie nähren und hegen und pflegen sie und sie werden immer größer und größer und bemerken es gar nicht. Wenn man diese Pflanzen jeden Tag sieht und vor Augen hat, merkt man erst, wenn man sie eines Tages umstellen will, wie groß und schwer sie geworden ist und das eben meist viel mehr als erwartet. Wie könnte man da noch die Zufriedenheit erlangen die man sich so lange vorgestellt hat.
Die Erfüllung der Erwartung und dessen was nach dem Erreichen des großen Meilensteins passiert, ist meiner Meinung nach vom Prinzip her schon nicht zu erreichen. Ich sage es ist sogar unmöglich und dennoch schüre ich sie selbst und musste auch schon einige Male feststellen, dass das Ergebnis eines bestimmten Meilensteins nicht die Befriedigung brachte, die ich mir versprach. Dabei gelange ich zu einem Zustand um den es mir hier eigentlich geht.
Auf dem Weg, hin zu dem übergeordneten Ziel, einer Fertigstellung oder sonstigem, ist die Sehnsucht nach der vermeintlichen Zufriedenheit im Anschluss an das Projekt allgegenwärtig und der größte Motivator wie ich finde. Und doch beginnt die Erfüllung der Erwartung genau da, wo man beginnt auf sie hinzuarbeiten. Jede Sekunde die man weiter auf das Ziel hinarbeitet ist es Wert genossen zu werden und ein viel größerer Teil der gesuchten Zufriedenheit, als das vielversprechende Ende.
Ein Zitat was ich öfter nicht wiederholen könnte und in jedem Bereich unseres Lebens so präsent ist, wie kaum ein anderes, ist wie ich finde das folgende: Es stammt von John Lennon, Mitgründer der Beatles :
“Life is what happens while you’re busy making other plans.“
Man vergisst viel zu schnell, dass jeder Tag auf dieser Welt ein Teil unseres Lebens ist und uns zu dem werden lässt was uns ausmacht. Egal womit er gefüllt ist: Arbeit, Schlaf, Spaß, Trauer, Leidenschaft, Freude, Langeweile, Neutralität, Glückseligkeit, all das ist das Leben und lässt uns wachsen.
Im Grunde geht es mir gar nicht um Erwartungen und Abschlüsse und all diese Meilensteine. Ich möchte vielmehr ausdrücken, welche Momente wir auf dem Weg zur Erfüllung dieser Erwartungen verpassen. Welche wir auslassen und ignorieren um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Momente die uns ablenken könnten und uns aus der Bahn werfen könnten.
Stell dir den Weg zum Ziel als zwei Autobahnen vor. Die eine führt durch einen immer währenden Tunnel. Dunkel, kalt, an nur wenigen Stellen offen und Tageslicht fällt ein wodurch besondere Momente und Möglichkeiten sichtbar werden. So sichtbar sie auch sind, genauso flüchtig sind sie. Der kleine Ausschnitt im Tunnel reicht nicht aus um sie wirklich auszukosten und mit vollem Bewusstsein genießen zu können.
So ein Tunnel ist ein sicherer Weg, trocken, wetterbeständig, abgesichert. Aber auch trist, einseitig und abschottend.
Die andere Autobahn ist im Freien. Endlose Weiten, die behütend einschüchternde Atmosphäre von Wäldern, Sehenswürdigkeiten und tolle Aussichten tun sich auf.
Nutze sie! Fahre im freien und nicht im Tunnel! Ziele sind da um sie zu erreichen, das steht fest. Aber es gibt nicht nur ein Ziel, es gibt 100. Es gibt 1000, es gibt unzählig viele. Es kann immer eine übergeordnete Aufgabe geben, eine die am wichtigsten oder gar am dringlichsten ist. Diese darf auch im Alltag eine sehr hohe Priorität einnehmen, aber es muss Momente geben, in denen sie das nicht ist und zwar überhaupt nicht.
Eben diese Momente muss jeder für sich selbst erkennen. Man muss sie identifizieren können, wenn sie vor einem stehen und nicht erst dann, wenn nur noch ihr Schatten gerade so an uns vorbeizieht.
Man muss sich bewusste Augenblicke schaffen um diese Momente überhaupt erst entstehen lassen zu können. Eben wie bei der Autobahn im Freien - Hier kann man bewusst eine Abfahrt wählen um etwas zu entdecken, zu sehen, zu erfahren, was man im vorbeifahren vielleicht erkannt hat. Das schöne ist, man kann genauso beliebig wieder auf diese Autobahn weiter fahren. Man bewegt sich also stets in Richtung Ziel.
Nur legt man eben bei der Nutzung solcher Abfahrten andere Grundsteine für das gesetzte Ziel. Zunächst erkennt man diese vielleicht nicht als solche. Aber sie sind mindestens genauso wichtig wenn nicht sogar noch wichtiger um das Ziel in seiner ausgewogensten und erfülltesten Art und Weise zu erreichen.
Solche Abfahrten können auf so wunderbare Weise eine ganze Fülle an neuen Gedanken, Gefühlen, Erlebnissen und Inspirationen bieten. Eine wahre Fülle an neuen Ideen und Geistesblitzen. Genau diese lassen Werke zu Meisterwerken und vielem darüber hinaus werden. Beschäftigt man sich ein bisschen zu lange mit einer Aufgabe, hilft es ein bisschen Abstand zu gewinnen und sich selbst und dem eigenen Geist eine kleine Pause zu gönnen. Das kann die Seele und die innere Ruhe pflegen und sich mit sich selbst wieder etwas mehr in Einklang bringen.
So können selbst zuvor schwierige Teilaufgaben und Probleme mit frischen Gedanken auf einmal kinderleicht wirken.
Genau wie auf der Autobahn macht man gerne von Zeit zu Zeit Rast um sich zu strecken, frische Luft zu atmen und etwas zu bewegen. Schon aus kurzen Pausen kann Kraft für mehrere Kilometer Fahrt geschöpft werden.
Ich möchte erneut betonen, dass all diese Worte sich einfach in meinem Kopf gesammelt haben und ich versuche sie im Fluss des Schreiben zu ordnen und meinen Gedanken einen nachvollziehbaren Sinn zu verleihen. Daraus folgt kein Ratgeber, keine Geisteswissenschaft, kein Skript oder ähnliches, nach welchem es zu Leben gilt. Ich reflektiere. Ich reflektiere über einen wichtigen Abschnitt meines Lebens und erkenne mehr und mehr, wie gut es tun kann, zu schreiben. Ich bin jemand der denkt, viel denkt, wahnsinnig viel denkt. In meinen Projekten und Arbeiten habe ich das immer als Vorteil oder gar als Fähigkeit empfunden. Für mich und meine ganz persönliche Zeit allerdings, erkenne ich es mehr und mehr als, ja als Blockade. Sich permanent Alternativen zu bevorstehenden Situationen und damit zur Zukunft zu überlegen, ist sicherlich etwas, was uns Menschen zu einer der höchst entwickelten Spezies macht, die wir in unserem Universum bisher kennen. Jedoch kann genau dies in unserer heutigen Zeit, voll von Terminen, Daten, Regeln, Gefahren, Erfolgen und all diesen Dingen zu quälenden und ängstlichen Gedanken führen. So erkenne ich für mich persönlich mehr und mehr, dass die Niederschrift dieser Gedanken meinen Kopf und damit meine Gedanken auf eine ganz bestimmte Art und Weise reinigt. Es geht nicht nur um schlechte, deprimierende oder quälende, oder nur um positive, gute und blühende Gedanken. Nein es geht um zu viele Gedanken. Zu viel für einen Kopf, zu viel für einen Tag und zu viel um einen gewissen Fokus für bestimmte Dinge zu erreichen.
Es gibt so viele Dinge, die uns in dieser Welt im Weg stehen und uns vor die Füße gelegt werden können. Wir sollten versuchen, das wir selbst keines dieser Dinge sind bzw. werden. Wir sollten uns nicht selbst im Weg stehen und uns keine eigenen Steine in den Weg legen.
Um das Ende zu erreichen, bleibt für mich zu sagen, das ich in der eingangs beschriebenen Phase eben solche Dinge selbst auf meinen Weg gelegt habe und jetzt damit beschäftigt bin diese aus dem Weg zu schaffen. Ich hab viele Tunnel genommen und bin nur wenig unter freiem Himmel gefahren. Die Pflanze meiner Erwartungen war am Ende so schwer und groß, dass ich sie nicht mehr bewegen und nirgends mit hinnehmen konnte.
Unsere Motivationen und Prioritäten verlagern sich von Zeit zu Zeit und das ist auch gut so. Genau das ist wichtig um ein ausgewogenes und erfülltes Leben zu leben und mit sich selbst im Reinen zu sein.
Manche Dinge müssen immer erst einmal falsch oder mit Fehlern getan werden um sie später umso hervorragender und richtiger zu machen.
Ich für meinen Teil werde in Zukunft so oft es geht unter freiem Himmel mit breitem Lächeln und offenen Augen fahren und so viele Abfahrten nehmen wie ich nur kann. Ich werde meine Pflanze der Erwartungen so oft betrachten und bewegen wie es nur geht um sie niemals in einen Geist zu verwandeln, den ich später nicht mehr greifen kann.
Ein letztes Résumé für mich aus diesem Lebensabschnitt für mich ist, wie es schon Anthony Hopkins so weise formulierte:
“Trage dein Herz auf der Zunge…“